Dienstag, 13. Dezember 2011

Recursos humanos

Menschliche Ressourcen

In Anlehnung an das Fach, das wir alle in der Uni am wenigsten mochten, aber als Ersatz für Psychologie belegen mussten, soll es in diesem Blogeintrag um einen allgemeinen Rückblick auf die Studienzeit in Chile und die Besonderheiten des Landes gehen. Dabei fällt mir zuerst ein, wie kompliziert es sein kann, in Chile etwas zu kaufen, vor allem in einer kleinen „tienda“ (Laden) wie diesem Schreibwarengeschäft namens „Lápiz López“ (sinngemäß: Stift-Schmidt).
Wenn ich mir einen Block kaufen möchte, so zeigt mir der Verkäufer den erstbesten. Gibt’s auch noch einen anderen? Ja, klar. Und wie viel kostet dieser? Und jener? Und was ist mit dem? Nein, der zwei links davon! Nein, LINKS, nicht rechts! Ich wähle also einen Block aus und der Verkäufer schreibt mir den Preis auf einen kleinen Zettel. Mit dem gehe ich dann zur Kasse und zahle den angegebenen Preis, woraufhin mir der Zettel abgestempelt wird. Noch Fragen?
Ach ja, der Block - den hole ich dann mit dem Zettel beim Abholschalter ab, wohin der Verkäufer ihn bereits gebracht hat - wenn ich Glück habe. Ab in eine der allgegenwärtigen Plastiktüten und drei Menschen haben im Dreifachen der Zeit die gleiche Arbeit verrichtet wie ein deutscher Angestellter. Der Mindestlohn in Höhe von ca. 200 Euro macht’s möglich!
Neulich war ich in einer Bäckerei, in der vier Angestellte und ich waren. Zwei zum wiegen - in Chile zahlt man Brötchen nicht pro Stück, sondern nach Gewicht - ein Angestellter an der Kasse und einer... ja, wofür eigentlich? Wohlgemerkt, ich war für fünf Minuten der einzige Kunde.
Hier sind die Schalter „caja“ (Kasse) und „empaque“ (sinngemäß: Warenausgabe) zu erkennen. Warum dieses komplizierte System? Wir gehen davon aus, dass die Chefs so ihre Angestellten kontrollieren, sodass keiner Geld unterschlägt.
Gut für den Staat, aber nervig: auch für den kleinsten Einkauf bekommt man gewöhnlich eine Quittung, sodass man nach einer Weile mit den Taschen voller Zettel rumläuft. Die wichtigen sind natürlich dann nicht dabei, wenn man sie mal braucht.
Als Deutscher genießt man in Chile hohes Ansehen, auch wegen der Nationalmannschaft vom Alemania Fusball-Bund. Vor allem der Name Schweinsteiger und die korrekte Aussprache haben es den Chilenen angetan. Viele Deutsche sind vor 100-200 Jahren eingewandert - einige auch vor 65 Jahren, aber das ist eine andere Geschichte.
In den Straßen fallen viele Geschäfte auf, die mit deutschen Namen und Produkten werben. Ob es dann tatsächlich deutsch ist, ist eine andere Sache - so gibt es beispielsweise den „completo alemán“ (Deutscher Hot Dog), der unter der für completos üblichen zentimeterdicken Schicht aus Mayonnaise und Avocadocreme noch Sauerkraut beherbergt, abgerundet durch ein kaltes Würstchen ohne Biss. Mmmh... das ist zwar ungesund, schmeckt dafür aber auch nicht!
Als deutsche Austauschstudenten genossen wir durch die Probleme mit dem Streik, die ich in diesem Artikel erläutert habe, eine Sonderbehandlung durch die Professoren. Hier ist besonders unser Informatikdozent Pedro hervorzuheben, der für uns zwei Monate lang wöchentlich sechs Stunden seiner Freizeit opferte, damit wir bereits Ende November auf Reisen gehen konnten.
Im Gegenzug sprachen wir nur Spanisch in seinem Unterricht und besonders der morgendliche Kaffee, den Pedro uns immer spendierte, wird uns allen in guter Erinnerung bleiben. Unterrichtsstunden, Tests, Noten und Klausuren wurden zum Teil sehr kurzfristig durch das Internettelefonieprogramm Skype kommuniziert, aber wir hatten immer eine Menge Spaß und so waren die Dienstage und Donnerstage wohl unsere Lieblingstage der Woche.
Auch die anderen Professoren - Danilo, Elektrotechnik, der Anspruchsvolle. Hugo, BWL, der Jagdhund. Fernando, Aerodynamik, auch Papa genannt. Pablo, Recursos Humanos, der... hmm... Unbeliebte?! - halfen uns, wo viel sie konnten und wollten. Das war immer noch 100 mal mehr, als ein deutscher Professor gemacht hätte. Nur die „ayudantes“ (Studenten aus höheren Semestern, von uns Helferlein genannt), die Tests und Klausuren korrigierten, waren manchmal ein wenig kompliziert und wenig nachvollziehbar in ihrer Notengebung.
Hier kommt eine Eigenschaft der chilenischen Universitäten zu Tage: es geht sehr stark um Auswendiglernen und kaum um die Anwendung oder den Transfer des Erlernten. So bestand eine Aufgabe einer BWL-Klausur daraus, die 14 Eigenschaften eines Anführers aufzuzählen, die vorher auswendig zu lernen waren. Doch nicht nur in den geisteswissenschaftlichen Fächern, sondern auch in den technischen Fächern wie Aerodynamik war das so. So wollte mir ein ayudante für die Herleitung einer Formel für die Schallgeschwindigkeit nur ein Drittel der Punkte geben, weil ich die Formel über Dichte und Druck statt über die Temperatur hergeleitet hatte, wie es in der Vorlesung erklärt worden war.
Meiner Meinung ist das Ziel eines Universitätsstudiums, ein Problem auf verschiedene Weisen angehen und lösen zu können, anstatt nur das Gelernte niederzuschreiben. Dies ist in Deutschland so der Fall, in Chile jedoch nicht. Daher freue ich mich, mein Studium in Deutschland fortsetzen zu können. Nichtsdestotrotz haben wir eine Menge gelernt -  nicht nur fachlich, sondern auch sprachlich und vor allem kulturell. Wer kann schon von sich behaupten, mit fünf verschiedenen Professoren fünf verschiedene Lösungen in einer anderen Umgebung, Kultur und Sprache gefunden zu haben? Dies ist meiner Meinung nach auch später im Cockpit wichtig.
Ein letzter Hinweis für alle Chile-Reisenden: Das Klopapier hängt oft außerhalb der Toiletten. Ganz wichtig! Am besten sollten man - besonders auf Reisen - immer eine Rolle dabei haben. Dabei will ich es dann für diesen Artikel auch belassen. Die nächsten Beiträge gehen dann über meine Reise durch Argentinien, Chile, Bolivien, Peru, Kolumbien und Brasilien. Los geht’s mit den Erfahrungen in Argentinien gemeinsam mit meinen Eltern.

Bis dann, euer Lars

1 Kommentar:

  1. Ein exakter Einblick in eine Kultur, die auf den ersten Blick sehr europäisch erscheint. Vor 50 Jahren war es bei uns auch so - vielleicht hat "man" es einfach so mitgebracht und auf Grund der niedrigen Lohnkosten noch nicht verändern müssen.
    Höchst informativ!
    Viele tolle Eindrücke auf deiner Urlaubsreise wünscht dir LiCo

    AntwortenLöschen