Donnerstag, 22. September 2011

El paro no para ...

Der Streik hört nicht auf ...

Das spanische Wort parar entspricht dem deutschen Verb anhalten, wie man auch auf dem folgenden Stoppschild sehen kann. Doch die weiteren Bedeutungen sind für mich als deutschen Austauschstudenten momentan von höherer Bedeutung. Schließlich sollten wir eigentlich schon seit zwei Monaten studieren, doch der paro ("Streik") macht uns einen Strich durch die Rechnung.
So wollten wir ja ursprünglich in Valparaíso am Pazifik studieren, doch die dortige Universität wird schon seit drei Monaten bestreikt. Als wir ankamen, hieß es, voraussichtlich würde der Streik noch zwei bis drei Wochen andauern. Zeitangaben in Südamerika sollte man jedoch immer mit etwas Vorsicht betrachten. Nun sind zwei Monate vergangen und seit einer Woche ist die Universität sogar en toma ("eingenommen").
Die Studenten wohnen jetzt in der Uni und lassen keinen mehr rein oder raus, bis es zu einer Lösung bei den chilenischen Studentenprotesten kommt. Ich werde in der nächsten Zeit einen Blogeintrag zum Streik veröffentlichen, da dieser mein Auslandssemester gehörig durcheinanderwirbelt und Gesprächsthema Nummer 1 im Land ist.
Für uns hieß der andauernde Streik in Valparaíso, dass wir nach Santiago umziehen würden. In der chilenischen Hauptstadt hat unsere Universität nämlich einen Satellitencampus und unterrichtet dort auch fast alle Fächer, die wir in Valparaíso belegen sollten. Das ist in Zeiten von Bachelor, ECTS und Regelstudienzeiten nicht zu unterschätzen - schließlich möchte ich auch, dass mir meine Kurse in Deutschland anerkannt werden!
Fast hatte ich Valparaíso schon lieb gewonnen, mit seinen Straßen, die in der EU so niemals gebaut geschweige denn befahren werden dürfen ...
... und den dazu gehörigen Fußwegen. Für den fußfaulen Bewohner gibt es öffentliche Verkehrsmittel, so wie colectivos ("Sammler") - Taxen, die mehr oder weniger festgelegte Routen abfahren und dabei als Busse fungieren, so wie hier die Linie 168.
Für die extremen Steigungen an Valparaísos Hügeln gibt es dann die ascensores ("Aufzüge"), die zum Teil schon mehr als 100 Jahre alt sind, und das merkt man auch. Aber ist es nicht gerade das, was den Charme Südamerikas ausmacht?
Diese Wir-nehmen-die-Dinge-so-wie-sie-kommen-Mentalität, auch wenn es anders sicherlich effektiver (aber auch teurer) ginge? In Chile würde ein Stuttgart-21-Projekt nie geplant werden - es funktioniert doch auch so, wie es ist.
So fahren in Valpo denn auch noch Oberleitungsbusse, die aus der selben Ära wie die ascensores zu stammen scheinen. Doch hier muss ich für Chile eine Lanze brechen: im Vergleich zu anderen südamerikanischen Ländern, die ich kennen gelernt habe, ist das Land sehr weit entwickelt und der Verkehr ist ziemlich effektiv organisiert. Daher ist auch die Metro von Valparaíso und Viña del Mar erwähnenswert, für deren Benutzung man leider eine Chipkarte benötigt, sodass wir in den zwei Wochen an der Küste immer den Bus genommen haben.
Bei dieser Brücke scheint die rechte Hälfte zu fehlen.
Eine Umleitungsempfehlung. Is' klar, ne?
Auf ging es also nach Santiago, zurück in die Hauptstadt, in der 40 Prozent aller 15 Millionen Chilenen wohnen. Auf dem Weg auf der Autobahn kamen uns auf der demonstrierende Studenten entgegen - ein Anzeichen dafür, wie ernst es ihnen ist.
In Santiago hatte die Uni bereits vor zwei Wochen angefangen und wir suchten uns schnell unsere Kurse zusammen, die wir günstigerweise so legen konnten, dass wir nur montags, mittwochs und freitags zur Uni müssen. Diese liegt nämlich in Vitacura, einem Vorort im Osten Santiagos, wo die Reichen der Reichen wohnen. Anzeichen sind dafür Fußballfelder auf dem eigenen Anwesen hinter 5 Meter hohen, mit Elektrodraht versehenen Betonmauern. Wer so leben will ... Hauptsache, weit weg vom Pöbel.
Im Hintergrund sieht man die östliche Andenkordillere außergewöhnlich deutlich - im Normalfall reduziert der Smog die Sichtbarkeit deutlich, was daran liegt, dass Santiago wie so viele südamerikanische Städte in einem Talkessel gebaut worden ist - warum eigentlich? Immerhin sorgt der Smog für tolle Sonnenuntergänge!
Ich wohne jetzt im 11. Stock dieses Hochhauses, das unter anderem ein Schwimmbad - noch ist es zu kalt und daher ist kein Wasser im Becken - und einen Fitnessraum hat, zusammen mit Gerardo, einem 28 Jahre alten Chilenen, der im Wirtschaftsministerium arbeitet. Am Wochenende unternehmen wir viel gemeinsam und so lerne ich die chilenische Kultur kennen - genau das, was ich wollte!
Die Wohnung ist sehr geräumig und hat einen großen Fernseher mit Dutzenden von Kanälen, ich habe mein eigenes Badezimmer und es gibt sogar eine Geschirrspülmaschine.
Von unserem sonnigen Balkon aus habe ich einen wunderschönen Blick auf die ganze Stadt! Im Hintergrund seht ihr den Cerro San Cristobal, der Berg im Norden der Innenstadt, der ein Park fast ohne Autoverkehr ist und daher ideal zum Laufen ist, wären da nicht diese Steigungen, die ich so aus Hamburg und Bremen nicht kenne.
Der Weg zur Uni ist jedoch relativ lang. Ich brauche eine knappe Stunde von Tür zu Tür, obwohl es eine U-Bahn-Linie gibt. Die Wagen sind jedoch regelmäßig bis zum Anschlag gefüllt, sodass man zum Teil einige Bahnen abwarten muss, bis man mitfahren kann. Schaut euch einfach das Video an.

Der bisherige Rekord beim Warten liegt unter uns Deutschen bei 13 U-Bahnen! Diese fahren schon alle 2 Minuten und bevor man nach dem Aussteigen den Bahnsteig verlassen hat, ist die nächste Bahn schon eingefahren.
Der Bus, oder beziehungsweise das bisschen Büsschen, das zur Uni fährt, ist dann noch einmal voller als die Uni. 30 Meter lange Anstehschlangen sind keine Seltenheit, und wenn der Bus nur alle 10 Minuten fährt - manchmal auch alle 5, manchmal nur alle 20 Minuten, es gibt keinen Fahrplan - dann sind die Wartezeiten nicht kalkulierbar.
Und so sieht's dann drinnen aus.
Aber wie wir schmerzlich feststellen mussten, ist in Südamerika nichts so, wie man es erwartet. Zwei Wochen nach unserer Ankunft begannen die Studenten auch in Vitacura zu streiken. Mittlerweile zieht sich das schon seit einem Monat hin, sodass wir Extraunterricht mit den Professoren haben und Klausuren schreiben, um unseren Zeitplan nicht völlig aus dem Ruder laufen zu lassen. Zudem reisen wir auch eine ganze Menge, wie ihr in den nächsten Blogeinträgen sehen werdet.
Was interessiert euch mehr? Der Studentenstreik, ein Blick auf den höchsten Berg außerhalb Asiens oder Delfine und Pinguine? Ihr habt es in der Hand, euch auszusuchen, worüber ich nächste Woche schreibe - also schreibt mir einen Kommentar!

Euer Lars

Mittwoch, 7. September 2011

Buscando un departamento

Auf Wohnungssuche

Da macht man mal kurz was anderes, lernt für die Uni, fährt Ski in den Anden, besucht ein Konzert ... und schwupp sind drei Wochen um, in denen ich euch im Unklaren gelassen habe über meinen Verbleib! Das soll natürlich nicht so bleiben. Daher geht es heute um die Wohnungssuche in Chile, denn man kann ja nicht ewig im Hostel wohnen - ne, Basti?
Valparaíso als alte Kolonialhafenstadt hat Häuser aller Altersklassen. Wo ich wohnen sollte, war mir eigentlich egal, doch Hauptsache mit Chilenen. Meine deutschen Freunde würde ich ja täglich in der Uni sehen, sodass für mich der kulturelle Austausch im Fokus der Wohnungssuche stand. Nach kurzer Suche auf einem WG-Gesucht-Verschnitt, bei dem man die Anbieter aber nicht kontaktieren kann, ohne sich einen kostenpflichtigen Premium-Account zuzulegen, wurde ich auch schon von mehreren Leuten angeschrieben.
Also auf zur ersten Wohnung, das ging ja flott! Doch ganz so toll, wie die Bilder es suggerierten, war die Wohnung dann doch nicht. Eigentlich war sie überhaupt nicht toll. Die Besitzerin Isabel schwatzte mich geschlagene 30 Minuten mit ihren Bedingungen zu, der Raum war vielleicht 6 Quadratmeter groß und Küche und Badezimmer versifft. Nö, ich guck' denn mal weiter.
Doch auch die darauf folgenden Wohnungen waren nicht wirklich das, was ich suchte. Entweder nur Ausländer wie ich, 100 Jahre alte Häuser, verschimmelte Badezimmerdecken, 3 Quadratmeter große Zimmer - echt! Neben dem 1x2-Meter-Bett waren vielleicht noch 30 Zentimeter Platz! Da wohnte ja Harry Potter unter der Treppe bequemer!
Positiver Nebeneffekt der Suche: Man lernte sich gleich orientieren in der Stadt. Und sobald man die Straße gefunden hatte, war es ein ständiges Bangen - welches wird das Haus sein? Bald stellte sich heraus, dass für mich verwöhnten Europäer wohl eher die Hochhäuser in Frage kommen. Ich sah die Hochhäuser natürlich auch immer schon von Weitem und hoffte inständig, dass die im Internet angegebene Hausnummer auf dem Hochhaus prangen würde - und nicht auf der Hütte daneben.
Doch das Glück war nicht mit mir, und so begann ich, mich auch in der Nachbarstadt Viña del Mar (übersetzt: Weingut am Meer! Das ist doch schon mal 'ne Ansage!) umzusehen. Die Uni liegt zwischen Viña und Valpo, und die beiden Städte sind wie Tag und Nacht. Viña del Mar ist quasi die hübsche, arrogante Lady und Valparaíso der authentische Bruder, der aber nicht allzu viel für ein ansprechendes Outfit gibt. Quasi wie Uhlenhorst und St. Georg.
Ich brauche zwar kein Schicki-Micki und kein Schwimmbad im Haus, aber schaden tut's natürlich nicht. Und wenn ich hier ein passendes Zimmer finden sollte - warum nicht? Hauptsache, es kostet nicht mehr als in Bremen.
Durch Viña schlendern machte richtig Spaß. Man fühlte sich sicher, die Straßen waren sauber, aber es war alles ein bisschen steril. Doch dafür gibt es ja die Mole, die einen mit einem wunderschönen Blick über die Bucht Richtung Valpo belohnt!
Zugegeben, das Leben spielte in Valpo. Und Viña del Mar war auch spürbar teurer - wo eine Empanada (wir entschlossen uns für die Übersetzung Eingebrotete. Tolles Wort, oder?) in Valpo 600 Pesos (0,90 Euro) kostete, waren es in Viña 800 Pesos (1,20 Euro). Immerhin 25% mehr... das läppert sich!
Hier war mal ein Fußweg.
Ich fühlte mich unweigerlich wie in einem spanischen Ferienort, wie in Lloret oder auf Mallorca - man war von Betonklötzen umgeben. In Spanien sind es Hotels, hier wohnen die Leute dauerhaft dort. Irgendwie merkte ich, Viña war zu viel des Guten. Es musste doch in Valpo eine ordentliche Wohnung geben!
Die lokale Tierwelt.
Ein Highlight: Wahrscheinlich die einzige Boeing 747 der Welt mit 2 Triebwerken. Aber wie der südamerikanische Mechaniker sagt: "Passt schon."
Und tatsächlich fand ich nach einwöchiger Suche eine Superwohnung, 5 Minuten zu Fuß von der Uni weg im 11. Stock eines 23-stöckigen modernen Hochhauses, dazu noch bezahlbar und ein total netter chilenischer Mitbewohner! Zu dumm nur, dass die Uni immer noch streikte, und somit unsere Pläne durchkreuzte. Aber dazu mehr im nächsten Eintrag, der dann hoffentlich ein bisschen früher kommt.

Euer Lars